Kapitel 5 | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Der
Vertragsschluss |
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I. Was will die
Rechtsgeschäftslehre? | |
Die
Lehre vom Rechtsgeschäft hat ihren Sitz nicht zufällig im „Allgemeinen
Teil” des bürgerlichen Rechts. Sie ist sein Herzstück.
Ihr sollte beim Studium besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden!
– Der „Allgemeine Teil” des bürgerlichen Rechts
behandelt Rechtsgeschäfte schlechthin, also abstrakt. Im Gesetzbuch
sind sie dagegen in konkreter Form als Kauf-, Werkvertrag, Schenkung
oder Ehevertrag in den verschiedenen besonderen Teilen des bürgerlichen Rechts
– also dem Schuld-, Sachen-, Familien- oder Erbrecht – geregelt.
– Die Lehre vom Rechtsgeschäft gilt für alle Arten von Rechtsgeschäften:
unentgeltliche und entgeltliche, solche von Todes wegen und unter
Lebenden, einseitige, zweiseitige und mehrseitige; personen-, familien-
und erbrechtliche, insbesondere aber schuldrechtliche. | |
In den „besonderen Teilen”
des bürgerlichen Rechts, vor allem im Schuldrecht, finden wir konkret ausgeformte
Rechtsgeschäftstypen, insbesondere Verträge wie: Kauf, Tausch, Schenkung,
Darlehen, Verwahrung, Werk- und Arbeitsvertrag, Vereinsgründung,
Ehe(schließung), Verlobung, Testament und Erbvertrag. – Die Rechtsgeschäftslehre
des „Allgemeinen Teils” hebt das all diesen konkreten Rechtsgeschäftstypen
Gemeinsame heraus, abstrahiert vom Besonderen und schafft so – zum
besseren Verständnis – den Idealtypus „Rechtsgeschäft”, der in der
juristischen Wirklichkeit in dieser Form gar nicht existiert. Dieser Idealtypus „Rechtsgeschäft”
dient didaktisch-dogmatischen Zielen und verfolgt ein besseres Verständnis
der Vorgänge im und um das Rechtsgeschäft. – Es ist wie beim Mechaniker,
der, um einen Fehler zu finden, die möglichen Fehlerquellen einzeln und
nacheinander durchgeht, was aber deren Kenntnis voraussetzt. | Idealtypus
„Rechtsgeschäft” |
Neben der Vertragsfreiheit und der
Privatautonomie als Rahmenbedingungen, gehört auch die Willenserklärung
zum Fundament der Lehre vom Rechtsgeschäft. Daneben spielt im Rechtsgeschäftskonzept
des ABGB aber auch der Verkehrsschutzgedanke eine wichtige Rolle → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Willenserklärung: Fundament
der Lehre
vom Rechtsgeschäft |
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II. Begriff und
Erklärung | |
1. DtBGB und „moderne”
Rechtsgeschäftslehre | |
Die
Rechtsgeschäftslehre orientiert sich in Bezug auf das Verständnis
des Rechtsgeschäfts an den Motiven / Materialien, also den Entstehungsprotokollen
zum dtBGB: Motive I 126 (= Mugdan I 421); so auch Gschnitzer (AllgT1+2).
– Die Lehre vom Rechtsgeschäft ist eine bedeutende Leistung der
deutschen Pandektistik des 19. Jhd. | |
Der Terminus „Rechtsgeschäft”
stellt eine Übersetzung der gemeinrechtlichen Termini „actus juridicus”
und „negotium juridicum” dar. | Terminus |
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2. Willenserklärung
und Rechtsgeschäft | |
Die
Willenserklärung/en der Partei/en ist / sind der wesentliche Teil
des Rechtsgeschäfts, denn Rechtsgeschäfte bestehen aus Willenserklärungen;
wenigstens einer oder häufig aus zwei oder mehreren → Ein-,
zwei- und mehrseitige Willenserklärungen –
Der Parteiwille ist die treibende Kraft für den
Abschluss von Rechtsgeschäften. | Parteiwille |
Willenserklärung
meint privatrechtlich: Willensäußerung mit rechtsgeschäftlichem
Kundgebungszweck (Gschnitzer). | Die rg Willenserklärung |
Nicht immer gelingt es der oder
den Partei/en ihren rechtsgeschäftlichen Willen richtig zu bilden oder
zu äußern; sei es, dass sie sich versprechen, im Wort vergreifen,
verhören oder einfach – auf Grund von Unwissen oder unrichtigen
Schlussfolgerungen – von falschen Vorstellungen ausgehen. Unter
bestimmten Voraussetzungen – etwa nach den §§ 871 ff ABGB (Irrtumsregeln → Willensmängel
– Irrtum)
– kann eine misslungene Willensbildung oder Willenserklärung „korrigiert”
werden. Allein: Immer ist das nicht möglich. Die Auslegung und Korrektur
von Willenserklärungen orientiert sich nämlich nicht nur am Willen
des oder der Erklärenden (sog Willenstheorie),
sondern mitunter auch an der abgegebenen Erklärung (sog Erklärungstheorie)
und – bei den wichtigen entgeltlichen Rechtsgeschäften – auch nach
dem Verständnis des Publikums, der sog Verkehrssitte oder Verkehrsauffassung
iSd § 914 ABGB (sog Vertrauenstheorie). Mehr dazu → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Willens-,
Erklärungs-
und Vertrauenstheorie |
| Abbildung 5.1: Das Rechtsgeschäft |
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3. Begriff des
Rechtsgeschäfts | |
Das Rechtsgeschäft ist (in einer
ersten Annäherung; vgl auch → Einteilung
und Abgrenzung)
Privat-Willenserklärung, gerichtet auf Rechtswirkung, die willensgemäß
eintritt, weil sie rechtmäßig ist: Gschnitzer + Motive zum dtBGB.
– Betrachten wir idF die einzelnen „Elemente” des Rechtsgeschäfts: | Elemente
des
Rechtsgeschäftsbegriffs |
•
Privat-WillenserklärungDas
Element „Privat-Willenserklärung” will von öffentlichrechtlichen
Willenserklärungen abgrenzen (<->); zB der Ausübung des Wahlrechts
in der Wahlzelle oder einem Richterspruch. | |
• „ ... gerichtet auf Rechtswirkung”:
also Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs. Die Rechtswirkungen
bestehen danach in der Begründung, Aufhebung oder Abänderung von
Rechten und/oder Pflichten. Dieses Begriffselement ist abzugrenzen
(<->) von unverbindlichen Willensäußerungen iSv nicht einklagbaren
(!), etwa bloß gesellschaftlichen Verabredungen; zB gemeinsam ins
Kino oder Essen zu gehen oder einem Rendezvous. | |
•
„ ... die [gemeint ist:
die Rechtswirkung] willensgemäß eintritt”: Der
Erfolg tritt nach der Rechtsordnung deswegen ein, weil er [vom /
von den Erklärenden] gewollt ist; das heißt, der Erfolg / das Ziel
des Rechtsgeschäfts wird vom Parteiwillen getragen. Dabei muss der
Wille nicht alle rechtsdogmatischen Details, insbesondere nicht
sämtliche Tatbestandselemente und Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts
umfassen. Es genügt vielmehr das Bewusstsein der Parteien, ein Rechtsgeschäft
abschließen, also einen Rechtsakt setzen zu wollen! Man verlangt
demnach nur das Vorliegen einer Rahmenvorstellung.
– Der (Rechts)Geschäftswille richtet sich – nach W. Flume – auf
einen weitgefassten Rechtsfolgewillen, der häufig
einen rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Erfolg auf rechtlich
gesicherte Weise herbeiführen will; sog gemäßigte Rechtsfolgenlehre. | |
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EvBl 1977/68: Danach kommt ein Vertrag
zustande, wenn nicht „den Parteien erkennbar das Bewusstsein
fehlt, mit ihrer Vereinbarung Rechtsfolgen auszulösen”. | |
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•
„ ... weil sie [sc:
die Rechtswirkung] rechtmäßig ist”: Der rechtsgeschäftliche
Erfolg tritt, wie gewünscht, ein, wenn das (vom / von den Erklärenden)
Gewollte rechtmäßig ist, also der Rechtsordnung nicht widerspricht.
– Rechtsgeschäftliches Handeln ist also nur innerhalb der Grenzen des
rechtlich Erlaubten / Zulässigen möglich. Diese Grenzen
müssen von den Parteien eingehalten werden; wollen sie ihre Erklärung
oder Vereinbarung mit Rechtsfolgen ausstatten. Nur in dem von ihr
vorgegebenen – freilich weiten – Rahmen gewährt die Rechtsordnung
Rechtsschutz/Rechtssicherheit und verleiht dem Geschäfts- oder Parteiwillen
rechtliche Wirksamkeit. – Daher führt gesetz- oder sittenwidriges
(rechtsgeschäftliches) Handeln nicht zum gewünschten rechtsgeschäftlichen
Erfolg; vgl § 879 ABGB. | |
4. Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB | |
Aufmerksam
gemacht werden muss darauf, dass die Rechtsgeschäftslehre des dtBGB (und
dabei auch das Verständnis der Willenserklärung) nicht ohne Einschränkung
auf das ABGB übertragen werden darf, was aber immer
wieder geschieht. Das ABGB stellt nämlich, obwohl wesentlich älter, aufgrund
seiner naturrechtlichen Wurzeln (K.A.v. Martini), stärker – und
aus heutiger Sicht: moderner – auf
Vertrauens-
und
Verkehrs(schutz)überlegungen ab, als
das jüngere dtBGB, das vornehmlich willenstheoretisch ausgerichtet
ist. | Vertrauens- und Verkehrsschutzüberlegungen |
Als zurechenbare Willenserklärung iSd ABGB gilt nämlich
nicht nur eine gewollte Erklärung, sondern – darüber hinaus – auch
jedes menschliche Verhalten, das nach den Erfahrungen des rechtsgeschäftlichen
Verkehrs die Annahme rechtfertigt, dass damit die Begründung,
Abänderung oder Aufhebung von Rechten oder Rechtsverhältnissen angestrebt
wird und dies der Erklärende durch sein Verhalten (als ein Tun oder
Unterlassen) kundtut; dies auch unabhängig davon, ob tatsächlich
ein innerer Wille beim Erklärenden vorhanden ist, dass er eine (derartige)
Erklärung abgibt oder nicht. Vgl auch → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB –
Im Regelfall stimmen aber Wille, Erklärung und Verhalten überein. | |
In
diesem Sinne schon Gschnitzer in Klang2 IV/1,
72 und idF auch Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung 171
und derselbe im: Münchner-Kommentar, BGB3,
Vor § 116 Rz 17. – Versteht man die Willenserklärung in diesem Sinne
und hält man sie von psychologischen Elementen frei, führt das auch
zu einem besseren Verständnis automatisierter „Willens”-Erklärungen
(Computererklärungen). Es macht dann keine Probleme, solche Erklärungen
als zurechenbare (Willens)Erklärungen zu verstehen. |
Computererklärungen |
| Abbildung 5.2: Das Rechtsgeschäft/RG |
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| Abbildung 5.3: Ausdrückliche und schlüssige Willenserklärung |
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III. Einteilung
und Abgrenzung | |
1. Ein-,
zwei- und mehrseitige Willenserklärungen | |
Rechtsgeschäfte
bestehen entweder aus der Willenserklärung einer (zB
Testament, Auslobung oder Kündigung) oder von zwei (zB
Vertrag) oder mehreren Parteien (zB Vereins- oder
Gesellschaftsgründung) → Einteilung
nach ihrer Entstehung Danach
unterscheiden wir ein-, zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte. | |
Die Begriffe Person und Partei sind
rechtlich nicht identisch. Eine Partei kann wiederum aus mehreren
Personen bestehen, also mehrgliedrig sein. So, wenn Geschwister
ein Auto kaufen. – Besteht das Rechtsgeschäft nur aus einer Willenserklärung,
decken sich die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung (zB
Testament), mag auch ersterer Begriff das Ergebnis, letzterer das
Mittel, um dorthin zu gelangen, betonen. Andernfalls – etwa beim
Vertrag – ist die Willenserklärung nur ein Teil des (Gesamt)Rechtsgeschäfts,
das bei zweiseitigen Rechtsgeschäften, den Verträgen, aus Antrag
und korrespondierender Annahme besteht. | Person und Partei |
| Abbildung 5.4: Einteilung der Rechtsgeschäfte: Entstehung |
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| Abbildung 5.5: Einteilung der Rechtsgeschäfte: Wirkungen |
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2. Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB | |
Der rechtsgeschäftliche
Wille kann nach § 863 ABGB (Gesetz lesen!) entweder: | |
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ausdrücklich oder | |
•
schlüssig / konkludent oder | |
•
stillschweigend erklärt werden. | |
Jedenfalls muss ein rechtsgeschäftlicher Wille erklärt,
dh erkennbar geäußert werden, weil sonst kein Rechtsgeschäft zustande
kommt. Zu einem gültigen Testament braucht es daher mehr, als eine bloße
gedankliche Überlegung, wer, was bekommen soll. – Zur Bedeutung
des Stillschweigens im rechtsgeschäftlichen Verkehr → Schlüssiger
und stillschweigender Vertragsschluss
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Von einer rechtlich
beachtlichen Willenserklärung sprechen wir idR – daran
sei erinnnert – aber nur dann, wenn der jeweilige Wille in rechtsgeschäftlicher Erklärungs-
oder Kundgebungsabsicht (gültig) geäußert wird. | Kundgebungsabsicht |
Rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche
Willenserklärungen spielen neben dem Privatrecht auch
im öffentlichen Recht eine Rolle. Auch dort werden
Verträge geschlossen und verbindliche Erklärungen abgegeben. Rechtsträger
begeben sich dabei aber regelmäßig auf das Gebiet des Privatrechts
(Privatwirtschaftsverwaltung). Abgrenzungen können sich dabei aber
als schwierig erweisen, zumal Erklärungen auch sowohl dem privaten
wie dem öffentlichen Recht angehören können; Mischerklärungen. Als
eine solche rechtsgeschäftliche Mischerklärung könnte bspw auch die
Patientenverfügung ( → KAPITEL 17: Exkurs:
Die Patientenverfügung)
verstanden werden. Auch Hoheitsträger können Willenserklärungen
nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent abgeben. Die Rspr zieht
dabei aber realistische Grenzen. So wird es abgelehnt, Beamten ohne
ausdrückliche Zustimmung des zuständigen Organs ein Zusatzentgelt
gewähren zu können; ZAS 2001, 51 (5). | Privatrecht und
öffentliches Recht |
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Zwischen ausdrücklichen sowie schlüssigen und stillschweigenden Willenserklärungen
gibt es Übergänge. Wichtig ist vorerst, dass verstanden wird, dass
Rechtsgeschäfte und Verträge nicht nur durch ausdrückliche Willenserklärungen
geschlossen werden können, sondern auch dadurch, dass Parteien ein
Verhalten an den Tag legen, das objektiv – also nach der Verkehrsauffassung –
als Zustimmung oder Ablehnung gedeutet werden kann. | Die Bedeutung der Verkehrsauffassung |
Wir sind bereits auf solche Situationen
gestoßen; vgl etwa den Abschluss eines schlüssigen Verwahrungs-
oder Leihvertrags. – Im gesetzlichen Anerkennen von Konkludenz liegt
ein Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, die auf
einen äußeren „Tatbestand” (iSv Verhalten) vertrauen. | |
Konkludenz,
schlüssiges Verhalten scheidet daher aus, wenn für einen Vertragsabschluss
die Schriftform vorgeschrieben ist. Andernfalls
könnte diese Formvorschrift umgangen werden; vgl SZ 61/241 (1988). | Konkludenz/Schlüssigkeit |
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OGH 17. 8. 2001, 1 Ob 83/01i, EvBl 2001/14:
Hausverwalter eines Mietwohnhauses klagt den Dritteleigentümer auf
Zahlung der von ihm vorgestreckten Auslagen, wogegen der Miteigentümer
Verjährung einwendet. – OGH wendet § 355 HGB (Kontokorrent) analog
an, obwohl eine Kaufmannseigenschaft des Hausverwalters nicht festgestellt
wurde. Ein solches „uneigentliches” Kontokorrentverhältnis kann auch schlüssig zustande
kommen. Die Verjährung beginnt in diesem Fall erst mit Beendigung
der Kontokorrentperiode. | |
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Stillschweigen
iSd § 863 ABGB gilt in der Rechtsgeschäftslehre grundsätzlich nicht
als Zustimmung. Bloßes Schweigen besitzt nämlich grundsätzlich keinen
(positiven) Erklärungswert; SZ 64/185 (1991). – Anders liegt der
Fall aber, wenn der Stillschweigende nach dem Gesetz oder dem Vertrag oder
nach der
Verkehrssitte ( → KAPITEL 11: Verkehrssitte)
oder nach Treu und Glauben ( → KAPITEL 11: Treu
und Glauben)
hätte reden müssen oder wenn dem Stillschweigen schlechterdings
keine andere Bedeutung (als Zustimmung) beigelegt werden kann. –
Zur Bedeutung des Stillschweigens im Rahmen von Vertragsschlüssen → Schlüssiger
und stillschweigender Vertragsschluss –
Vgl ferner die folgenden Beispiele. |
Stillschweigen |
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Zum schlüssigen Widerruf
eines Testaments: EvBl 1999/195. | |
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Reden hätte der
Stillschweigende nach Treu und Glauben bspw müssen
(insbesondere bei bestehender Rechtsbeziehung), wenn wichtige Interessen
des Erklärenden (Vorschlagenden) dies verlangen und dies ohne ernstliche
Behelligung des schweigenden Partners möglich war. Das gilt auch
für jene Fälle, wenn ein Vorschlagender mit Antwort rechnen und
bei deren Ausbleiben mit gutem Grund annehmen durfte, dass alles
in Ordnung sei; HS 6227 (1968). | |
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HS 4220/26 (1963): In der unbeanstandeten
Annahme einer Faktura / Rechnung über nicht bestellte
Ware liegt keine schlüssige oder stillschweigende Zustimmung zum
Abschluss eines Kaufvertrags; es besteht auch kein derartiger Handelsbrauch.
Vgl schon ACl 2122 (1900). | |
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HS 4213 (1964): Das österreichische
Recht kennt kein allgemeines Rechtsinstitut der
Verwirkung ( → KAPITEL 6: Verwirkung )
im Sinne eines schlüssigen oder stillschweigenden Anspruchsverzichts durch
bloßen Zeitablauf. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen,
die ein späteres Geltendmachen des Anspruchs als Verstoß gegen Treu
und Glauben erscheinen lassen. | |
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HS 4216: Bei Dauerschuldverhältnissen
darf aus der Nichtausübung eines Rechts im Einzelfall oder aus der
Unterlassung des Widerspruchs gegen vereinzelte Eingriffe noch nicht
auf einen Verzicht geschlossen werden. | |
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EvBl 1951/485: Keine
Zustimmung liegt im Stillschweigen auf
eine in die Faktura oder den Lieferschein aufgenommene Eigentumsvorbehaltsklausel. | |
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SZ 38/112 (1965):
Auch bei der Annahme eines stillschweigenden Haftungsverzichts erscheint
Vorsicht geboten. Ein „Handeln auf eigene Gefahr” ist nur dann anzunehmen,
wenn der später Verletzte erkannt hat, dass er sich in eine besondere
Gefahrenlage begibt. Ein anzunehmender Verzicht bezieht sich zudem
idR nur auf den Eintritt eines unverschuldeten Erfolges oder einer
solchen Gefahr, und im Bereich der Verschuldenshaftung nur auf die
Haftung für leichte Fahrlässigkeit. Auch Unentgeltlichkeit befreit
nicht von der Verschuldenshaftung. | |
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OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192:
Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen
an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863,
914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese
Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden
die Leistungen (dieser Betriebsübung) Inhalt der
einzelnen Arbeitsverträge. | |
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Das Privatrecht orientiert sich in
§ 863 ABGB an den allgemeinen Grundregeln der Kommunikation, wo
zwischen verbalen und non-verbalen Botschaften / Äußerungen / Mitteilungen
unterschieden wird. Über Mimik, Gestik, überhaupt Körpersprache
verständigt sich schon die höhere Tierwelt, insbesondere die Primaten.
Mitgeteilt werden Informationen, Gefühle, Gemütszustände oder Triebregungen,
die alle auch rechtlich eine Rolle spielen können. – § 863 ABGB
trägt auch insofern der allgemeinen Kommunikationstheorie Rechnung,
als er nicht nur auf die Absicht der Botschaft, sondern vor allem
auch auf die erzielte (soziale) Wirkung achtet → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB:
Wie war das, wie konnte und durfte das verstanden werden? Auch das
Rechtsdenken hat sich demnach mit der Vielschichtigkeit und Komplexität
von Kommunikation / Verhalten auseinander zu setzen, in die das
Rechts- und Wirtschaftsleben nolens-volens eingebettet ist. | Grundregeln
der Kommunikation |
Beispiel: So kann bspw ein zunächst (objektiv)
mehrdeutiger Inhalt einer Botschaft uU erst im Zusammenhang / Kontext
mit der konkreten (Parteien)Beziehung eindeutig verstanden werden;
so muss, was unter Kaufleuten klar ist, nicht auch für Verbraucher
/ Konsumenten verständlich sein. | |
| Bedeutung für die Auslegung |
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3. Einteilung
nach ihrer Entstehung | |
Nach Ihrer Entstehung werden einseitige, zweiseitige und
mehrseitige Rechtsgeschäfte unterschieden: Einseitige Rechtsgeschäfte
entstehen durch die Willenserklärung nur einer Partei; die zweiseitigen
entstehen durch die (korrespondierenden) Willenserklärungen zweier
Parteien (Verträge) und die mehrseitigen Rechtsgeschäfte entstehen
durch die Willenserklärungen mehrerer Parteien. – Zuerst wird auf
die einseitigen Rechtsgeschäfte eingegangen und dabei die Auslobung näher
behandelt. | Einseitige
Rechtsgeschäfte |
Zu den mehrseitigen Rechtsgeschäften sei angemerkt: | |
Bei ihnen
haben wir es nicht nur mit zwei, sondern mit mehreren (auch vielen)
auf ein gemeinsames Ziel gerichteten Willenserklärungen zu tun.
– Typische Beispiele: Vereins- oder Gesellschaftsgründung. | |
Auch mehrseitige
Rechtsgeschäfte sind Verträge. Wie jeder Vertragsschluss, kommen
auch diese Verträge (nur) durch die Willenseinigung aller
Parteien zustande. Daher ist Einstimmigkeit bei der Vereins-
oder Gesellschaftsgründung nötig. – Später, wenn Gesellschaft oder
Verein einmal entstanden sind, genügt idR auch eine mehrheitliche
Entscheidung / Beschlussfassung; Mehrheitsbeschluss. – Auch das
Völkerrecht unterscheidet zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen. | |
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Die Willenserklärung bei
einseitigen Rechtsgeschäften wirkt aber verschieden: | Wirkung
einseitiger Willenserklärungen |
•
Bestimmte einseitige
Rechtsgeschäfte kommen schon durch Abgabe der Willenserklärung zustande;
zB das Testament, das mit Niederschrift gültig wird (etwa § 578
ABGB: eigenhändiges Testament), oder die Dereliktion (§§ 362, 386
f ABGB) wirkt mit Ausführung der Handlung. – Man kann sagen, die
Willenserklärung ist hier nur abgabebedürftig (ohne
dass sie zunächst nach außen dringen oder jemandem zugehen muss). | |
•
Eine andere
Gruppe einseitiger Rechtsgeschäfte / Willenserklärungen wird (nicht
schon durch Abgabe, sondern) erst dann wirksam, wenn die Willenserklärung dem Rechtsgeschäftspartner
/ Adressaten zugeht; so Kündigung oder Auslobung. Wir nennen diese
Gruppe zugangs- oder empfangsbedürftige
Willenserklärungen. Empfangsbedürftig sind vor allem auch
die einander entsprechenden Willenserklärungen, aus denen der Vertrag
entsteht: Antrag und Annahme. | |
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Die Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft werden
oft synonym verwendet, sind aber nicht identisch; synonym sind sie
beim einseitigen Rechtsgeschäft, das nur aus einer Willenserklärung
ent- und besteht; zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte dagegen
bestehen aus zwei oder mehreren Willenserklärungen. Hier ist das
„Ganze” (= Rechtsgeschäft / Vertrag) mehr als seine beiden Teile
(= Willenserklärungen) aus denen es sich zusammensetzt. – Zu beachten
ist ferner, dass beim Rechtsgeschäft für seine Gültigkeit neben
der Willenserklärung oft noch etwas dazukommen muss; etwa eine behördliche
Genehmigung udgl, also die Willenserklärung allein gar nicht das
gesamte Rechtsgeschäft ausmacht. | Willenserklärung
und Rechtsgeschäft |
4. Die
Auslobung: §§ 860, 860a, 860b ABGB | |
| |
| Was macht eine
Willenserklärung zu einer Auslobung? |
•
Die Auslobung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft,
kein Vertrag! Das Besondere daran: Die in der Auslobung steckende
Verpflichtungserklärung wird bereits durch ihren Zugang
an die Öffentlichkeit wirksam; zB durch
das Anschlagen des Zettels. | |
• Die Auslobung richtet sich an einen unbestimmten
Personenkreis und verspricht eine Belohnung,
wenn ein bestimmter Erfolg /Leistung erbracht wird.
– Hier bspw das Zurückbringen der entlaufenen Katze oder allfällige
zielführende Hinweise darauf. Verbindlich wird die Auslobung also
durch ihre öffentliche Bekanntmachung, die sehr unterschiedlich
erfolgen kann;
§ 860 Satz 1 ABGB. | |
•
Eine
Auslobung kann bis zur tatsächlichen Erbringung der ausgelobten
Leistung widerrufen werden. Der Widerruf hat nach
§ 860a ABGB „in derselben [oder einer gleich wirksamen] Form” zu
erfolgen. – Worin liegt der Unterschied zur Offerte? | |
•
Man
könnte sagen, dass in der Widerrufsmöglichkeit trotz Zugangs bei
der Auslobung noch der letzte Rest der alten Vertragsschlusslehre
vor der wichtigen Entdeckung der Antragsbindung durch das ABGB liegt.
– Martinis Entwurf (1796) und das ALR (1794) kannten die Antragsbindung
noch nicht → Antragsbindung
| |
•
§ 860 b ABGB regelt den Sonderfall, dass die Leistung
von mehreren Personen erbracht wird. | |
Diese Bestimmuung stellt klar, dass
auch eine „Preisbewertung” in Form der Auslobung erfolgen kann,
verlangt für deren Gültigkeit aber, dass „in der Bekanntmachung
eine Frist für die Bewerbung bestimmt sein muss”. – Während bei
der normalen Auslobung die Leistung / der Erfolg grundsätzlich nur
einmal erbracht werden kann, gilt das für ein Preisausschreiben
nicht. Innerhalb der „Frist” kann der Erfolg beliebig oft erbracht
werden. – Die korrekte Abwicklung eines Preisausschreibens (Ermittlung
der Gewinner) verlangt idR eine Jury / Preisgericht. | Preisausschreiben:
§ 860 Satz 2 ABGB |
Weitere praktische (Auslobungs)Beispiele: –
VerbrechensopferschutzG; – Wiener Mietermitbestimmung; – Schönheitskonkurrenz. | |
Die öffentliche
Ausschreibung zur Errichtung eines Bauwerks ist nicht Auslobung,
sondern Einladung zur Offertstellung. Der Ausschreibende kann eines
der eingelangten Anbote annehmen und dadurch den Vertrag zustande
bringen. – Werden jedoch im Rahmen eines Architektenwettbewerbs (zB
für den Neubau des Innsbrucker Rathauses) Preise ausgeschrieben,
liegt wieder Auslobung vor und die Auswahl des oder der Preisträger/innen
bedarf fachlicher Qualifikation und die (möglichst an Kriterien
zu bindende) Beurteilung darf nicht beliebig erfolgen (cic): | Architektenwettbewerb |
„Das Recht an preisgekrönten Entwürfen geht dadurch aber
noch nicht [auf den Auslobenden] über; ihr Ankauf ist davon unabhängig”;
Gschnitzer, SchRAT2. | |
5. Zweiseitige
Rechtsgeschäfte – Verträge | |
Der Vertrag
entsteht aus zwei einander entsprechenden – sog korrespondierenden
– Willenserklärungen. Diese Willenserklärungen heißen Antrag (Anbot,
Offert/e) und Annahme. Dazu gleich mehr. – Antrag
und Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen; dh ihre
Wirksamkeit ist vom Zugang abhängig. Der Antrag kann von jeder Vertragspartei
ausgehen; also zB beim Kauf vom Verkäufer oder Käufer. Eine Vertragspartei
kann wiederum aus zwei oder mehreren Personen bestehen; zB Freundin
und Freund kaufen gemeinsam ein Auto oder Grundstück. | |
Beim Vertrag(sschluss) spricht man (nach
griechischem Vorbild) auch von lex contractus und meint damit das
individuelle „Gesetz”, das sich die Parteien im Vertrag selbst geben.
Im Gegensatz zum „richtigen” Gesetz gilt dieses vertragliche Gesetz
aber nur inter partes. | lex
contractus |
Der Vertrag
ist ein Akt rechtlicher Selbstverpflichtung und Selbstbestimmung.
Er setzt ein unwiderruflich freies Individuum voraus, das in der
Rechtsgeschichte erstmals durch Solons Gesetzgebung geschaffen wurde.
– In der persönlichen Freiheit des Einzelnen wurzelt die Vertragsfreiheit, als
Freiheit Verträge zu schliessen. Die Privatautonomie braucht diesen
Freiraum, um sich entwickeln zu können. | Vertrag
als Akt rechtlicher „Selbstverpflichtung“ |
Wurde ein Vertrag
geschlossen, sind beide Parteien an ihn gebunden; römisch-gemeines
und Kirchenrecht: pacta sunt servanda –Verträge
sind zu- oder einzuhalten. Kein (Vertrags)Teil kann einseitig vom
Vereinbarten abgehen oder (auch nur kleine) Abänderungen vornehmen.
Daher: Vor Vertragsschluss alles gut überlegen und rechtzeitig Rat
einholen! Das erspart nachträglichen Katzenjammer. Geschlossene
Verträge können also grundsätzlich nicht rückgängig gemacht oder abgeändert
werden. Käufern steht (ohne diesbezügliche Vereinbarung) auch nicht
das Recht zu, einseitig gegen Bezahlung eines bestimmten Betrags
(etwa eines bestimmten Prozentsatzes des Kaufpreises → KAPITEL 15: Reugeld:
§§ 909 ff ABGB und § 7 KSchG:
Stornogebühr) vom Vertrag abzugehen / zurückzutreten. Der Vertragspartner
kann diesen Wunsch akzeptieren, muss das aber nicht. |
pacta sunt servanda |
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Die zweiseitigen Rechtsgeschäfte (=
Verträge) werden wiederum unterteilt in: | Unterteilung der zweiseitigen
Rechtsgeschäfte |
•
Einseitig
verpflichtende Verträge: Hier wird nur ein Vertragsteil
aus dem Vertrag (zu einer Leistung) verpflichtet; zB bei der Schenkung
der Schenkende, während der andere Vertragsteil aus dem Vertrag
nur Rechte erlangt. | |
•
Und zweiseitig
verpflichtende / verbindliche Verträge:
Hier werden beide Vertragsteile gegenseitig berechtigt
und verpflichtet. Hier wird wechselseitig jeder Vertragsteil Gläubiger
und Schuldner des anderen und zwar: | |
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| Verträge
zugunsten Dritter |
6. Einteilung
nach der Wirkung des Rechtsgeschäfts | |
•
Schuldrechtliche: zB Kauf,
Miete; | |
•
sachenrechtliche: zB WE-Begründung,
Servitutsvertrag; | |
•
personenrechtliche:
zB Verlöbnis; | |
•
familienrechtliche:
zB Ehe; | |
•
erbrechtliche:
zB Testament oder Erbvertrag. | |
7. Weitere
Einteilungsgesichtspunkte | |
•
Entgeltliche (§§
917 ff ABGB), unentgeltliche (zB Schenkung: §§
938 ff ABGB) oder | |
•
entgeltfremde Geschäfte. | |
Die Kategorie der entgeltfremden
Geschäfte geht auf Franz Gschnitzer zurück; vgl seinen
Aufsatz, JBl 1935, 122 ff: Entgeltlich – unentgeltlich; abgedruckt
auch im FGL 325. Zur Kategorie der entgeltfremden Geschäfte zählen
zB: gesetzliche Unterhaltsleistungen, Verfügungen von Todes wegen,
Ausgedingsleistungen, aber auch die Erfüllung und bestimmte Sicherungsgeschäfte
oder eine Abfertigung für ein nicht eingelöstes Eheversprechen /
Verlobung → KAPITEL 16: Das Verlöbnis: GlU 12.111. | |
•
Verfügungs-
und Verpflichtungsgeschäfte
→ KAPITEL 2: Verpflichtungs-
und Verfügungsgeschäft; | |
•
abstrakte und kausale Rechtsgeschäfte → KAPITEL 2: Kausale
und abstrakte Rechtsgeschäfte; | |
•
formfreie und formgebundene Rechtsgeschäfte → KAPITEL 15: Die
Form (im Privatrecht); | |
•
privatrechtliche und öffentlichrechtliche Rechtsgeschäfte. | |
Es gibt auch ganz unterschiedliche öffentlichrechtliche
Verträge: zB völkerrechtliche, Verträge zwischen Bund und Ländern
oder solche zwischen Bundesländern untereinander. | |
| |
| Abbildung 5.6: Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen |
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8. Exkurs: Rechtsgeschäftsähnliche
Erklärungen | |
IdF wird
kurz auf die Abgrenzung von Willenserklärungen, Rechtsgeschäften,
Rechtshandlungen, Wissenserklärungen und Realakten eingegangen. | Abgrenzung |
Nicht
jede rechtlich beachtliche Erklärung, Äußerung oder Handlung ist
nämlich Willenserklärung oder Rechtsgeschäft im technischen Sinn.
Es gibt vielmehr auch solche, die gleichsam sub limine von Rechtsgeschäft
und Willenserklärung liegen. Rechtsnatur und Zuordnung solcher Handlungen und
Erklärungen sind freilich nicht immer klar, vielmehr umstritten.
– Hierher gehören insbesondere die Rechtshandlungen, Wissenserklärungen
und Realakte. | Nicht jede rechtlich beachtliche
Erklärung/Handlung ist
rechtsgeschäftliche Willenserklärung oder Rechtsgeschäft |
Der Unterschied zu den Rechtsgeschäften soll
darin bestehen, dass bei Rechtsgeschäften der Parteiwille bewusst
und unmittelbar (wenigstens iSd gemäßigten Rechtsfolgenlehre!) auf
Rechtswirkungen gerichtet ist, während das bei Rechtshandlungen
und Realakten nicht gefordert wird; die Rechtswirkungen treten hier
vielmehr ex lege, also von Gesetzes wegen, und nicht wie bei Rechtsgeschäften
ex voluntate, also willensgemäß ein. – Rechtshandlungen richten
sich aber ebenso wie Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen, an
andere Personen, erfolgen also in Erklärungsabsicht. | |
Zum Unterschied vom Rechtsgeschäft kann ihnen aber jeder
auf bewusste Gestaltung bedachte Rechtsfolgewillen fehlen. – IdF
wird auf einige solcher Fälle eingegangen | |
Die
Mahnung wird häufig zu den Rechtshandlungen gezählt, die den Rechtsgeschäften
(insbesondere den einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen,
wie Antrag, Annahme, Vollmachterteilung, Kündigung) sehr nahe stehen
(Enneccerus), sodass deren Regeln analog angewendet werden können.
Das relativiert die Bedeutung des Streits. Auch Rechtshandlungen lösen
demnach Rechtswirkungen / Rechtsfolgen aus; freilich – wie erwähnt
– ex lege und nicht ex voluntate (?). | „Mahnung“ Die
Rechtshandlungen |
Wie
theoretisch dieser Streit ist, zeigt aber der Umstand, dass es schwer
vorstellbar ist, dass ein Gläubiger auch hier ohne jeden Rechtsfolgewillen
handelt, wenn er bspw mahnt! Gschnitzer zählt (daher) die Mahnung
– was für das ABGB (§ 1334) richtiger erscheint – „eher zu den Rechtsgeschäften”,
weil ihr Zugang (beim Adressaten) auch Geschäftsfähigkeit voraussetzt. | |
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JBl
1985, 235: Kündigung wegen Mietzinsrückständen – Beklagter war wegen
Schizophrenie geschäfts- und prozessunfähig – OGH verlangt daher
Mahnung an den gesetzlichen Vertreter. | |
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Zu den Rechtshandlungen
zählen auch die denuntiatio, also die Verständigung
des Schuldners von der Zession (§ 1396 ABGB → KAPITEL 14: Schuldnerverständigung?),
die Zustimmung zum Schuldnerwechsel (§ 1405 ABGB → KAPITEL 14: Der
Schuldnerwechsel),
die Nachfristsetzung im Rahmen des Rücktritts nach §
918 ABGB ( → KAPITEL 7: Zum
gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB) und die Mängelrüge nach
§ 377 HGB ( → KAPITEL 7: Kaufmännische
Rügepflicht), weil für diese cum grano salis dasselbe
zu gelten hat wie für die Mahnung. Denuntiatio und Mängelrüge werden
aber auch als bloße Wissenserklärung angesehen; so Frotz, F. Bydlinski,
Kramer, Krejci und die Rspr. Geht es doch bspw bei der Mängelrüge
stets um das (mehr oder weniger) bewusste – gegenüber dem ABGB modifizierte
– außergerichtliche Geltendmachen und Sichern von Gewährleistungsansprüchen
gegenüber dem Vertragspartner, die typischerweise in Kenntnis eines
andernfalls drohenden Rechtsverlustes getätigt wird; wobei es sich
noch dazu um ein sehr hartes „Rechtsmittel” unter Kaufleuten handelt.
Ein einheitliches Verständnis ihres Rechtscharakters mit der Geltendmachung
bürgerlichrechtlicher Gewährleistungsansprüche erscheint daher angezeigt.
Die Mängelrüge ist daher zutreffenderweise zwar keine Willenserklärung,
wohl aber wie Wandlung, Preisminderung
und Verbesserung etc (§ 932 ABGB) als Rechtshandlung und
nicht bloß als Wissenserklärung anzusehen. All diese Rechtsakte sind
auch gesetzlich determiniert. | Weitere
Beispiele für Rechtshandlungen |
Die Grenze zwischen Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften
ist auch deshalb unscharf, weil auch bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen
die Vorstellungen der beteiligten Parteien in Bezug auf den angestrebten
rechtlich-wirtschaftlichen Erfolg oft vage bleiben und iSd gemäßigten
Rechtsfolgenlehre nicht zuviel verlangt werden darf. | Unscharfe
Grenze |
Umstritten, ob Rechtsgeschäft oder bloß
Rechtshandlung, war auch die Rechtsnatur der Einwilligung
/ Zustimmung in die ärztliche Heilbehandlung ( → KAPITEL 10: Die
¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung.
Exkurs: Behandlungsvertrag), die von manchen (zB Koziol) als Rechtsgeschäft,
von anderen und insbesondere der Rspr zutreffend aber als bloße
Rechtshandlung verstanden wird; nur dieses letztere Verständnis
unterscheidet klar zwischen Vertragsschluss (Behandlungsvertrag)
und Einwilligung in eine bestimmte Behandlung (zB Operationsmethode),
was nicht dasselbe ist. § 146c ABGB (idFd KindRÄG 2001 → KAPITEL 10: Der
minderjährige Patient)
hat dies nunmehr im hier vertretenen Sinne entschieden. – Hierher
gehört auch die Widerspruchserklärung nach § 62a
Abs 1 KAKuG, mit der jemand untersagt, dass seine Organe für Organtransplantationen
verwendet werden dürfen; Totenspende. Auch die Widerspruchserklärung
ist – wie die Einwilligung in eine konkrete ärztliche Heilbehandlung
– kein Rechtsgeschäft, vielmehr bloße Rechtshandlung. Sie ist zwar
auf Rechtswirkung gerichtet, ohne dass dabei aber ein privatautonom
zu nutzender Raum verbliebe. – Entsprechend ist die Erklärung
des Organspenders für eine Lebendspende (zB eine Niere)
zu bewerten. | Einwilligung
in die ärztliche Heilbehandlung + Widerspruchserklärung nach § 62a
Abs 1 KAKuG |
| Patientenverfügung |
Diese Vorausverfügung eines
Patienten, wie er künftig idR medizinisch behandelt werden will,
ist eine einseitige Willenserklärung, die allerdings nicht – wie
immer wieder behauptet – zugangs- oder empfangsbedürftig ist, sondern
vielmehr schon mit (Ent)Äußerung wirksam wird. Sie richtet sich
nicht an einen bestimmten Behandler, sondern „to whom it may concern”.
Das Patiententestament (Patientenverfügung, Letztverfügung, Patientenbrief
oder living will) ist kein Rechtsgeschäft, wohl aber Rechtshandlung. | |
Alle
diese medizinisch relevanten Erklärungen sind Ausdrucksmittel des
Selbstbestimmungsrechts von Patienten, nicht aber auf rechtsgeschäftliche
Folgewirkungen bedacht. (Auch bei positiver Spendererklärung kann
die Patientenverfügung nicht etwa als Offerte zum Vertragsschluss
odgl verstanden werden.) In diesen Fällen wird durch autonome Erklärung
ein Persönlichkeitsrecht – als Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung
des Patienten – realisiert und konkretisiert. Bei allen Unterschieden
im Detail handelt es sich also in all diesen Fällen um Rechtshandlungen. | |
Auch die Wissens- und Gefühlsäußerungen
oder -erklärungen sind von Rechtsgeschäften und Willenserklärungen
(= Willensäußerungen) zu unterscheiden. – Wissenserklärungen geben
nach hA die Meinung des Erklärenden über bestimmte Fakten / Tatsachen
wieder, was schriftlich oder mündlich geschehen kann. | Wissens-
und
Gefühlsäußerungen |
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Gute Beispiele für Realakte
oder Tathandlungen bei Gschnitzer (AT 2)
– Musiker/in komponiert, Dichter/in schreibt, Maler/in malt und
erlangt, auch ohne es zu wissen und zu wollen, Urheberrechte am
jeweiligen Produkt. Auch mit dem Finden verbindet das Gesetz (unabhängig
vom Willen des Finders) bestimmte Rechtsfolgen; §§ 388 ff ABGB.
– Realakte wollen im Gegensatz zu Rechtsgeschäften, Willenserklärungen
und Rechtshandlungen anderen nichts kundtun, erfolgen also ohne Erklärungs-
oder Kundgebungsabsicht und zielen nicht auf Rechtswirkung, obwohl
sie solche nach sich ziehen (können). – Hierher gehören auch die
Erfüllungshandlungen und der Spezialfall der „stillen Annahme” nach
§ 864 Abs 1 ABGB → Die
Sonderfälle des § 864 ABGB
| Realakte oder
Tathandlungen |
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Der OGH erblickt
im Sri Chinmoy-Fall in der staatlichen Information und Warnung der
Öffentlichkeit vor bestimmten „Sekten” einen öffentlichrechtlichen
Realakt, der in engem inneren und äußeren Zusammenhang mit der Pflicht
des Staates steht, die persönliche Freiheit seiner Bürger zu schützen;
JBl 2000, 179. – Korrekt wäre hier eine Wissenserklärung anzunehmen. | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Der
Vertragsschluss |
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